Jakob Schmidt wurde 1989 in Würzburg geboren. Nach der Schule arbeitete er als freier Journalist. Sein Regiestudium an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf begann er im Alter von 20 Jahren als einer der jüngsten Studenten. ZWISCHEN DEN STÜHLEN ist nach mehrfach ausgezeichneten Kurzfilmen sein erstes Langfilmprojekt.
FILMOGRAFIE (AUSWAHL)
2015
GEWITTERZELLEN, Spielfilm, 30Minuten, RBB
- Nominierung Studio Hamburg Nachwuchspreis „Bester Mittellanger Film“
- Flensburger Kurzfilmtage, Publikumspreis
- Huesca Int. Film Festival, Honorable Mention
- Festival de Cine Alcalá, Publikumspreis
2012
NIMMERSATT, Spielfilm, 20 Minuten, Arte
2011
517 FÜWATOWN, Dokumentarfilm, 12 Minuten, RBB
- WDR kurz&schön Bester Kurzfilm
- Flensburger Kurzfilmtage, Nachwuchsförderpreis
- Aufführungen auf über 50 Festivals, TV‐Ausstrahlungen: BR, WDR, 3Sat, ZDF Info
2010
LIEBER WÄR‘ ICH MÖRDER, Dokumentarfilm, 20 Minuten
- Nominierung „Bester Mittellanger Film“, Visions du réel, Nyon
INTERVIEW MIT DEM REGISSEUR JAKOB SCHMIDT
Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Film über Lehramtsreferendare zu machen?
Ich hatte schon lange vor, einen Film über den Zustand von Schulen in Deutschland zu drehen.
Vielleicht auch, weil ich selbst ein „Lehrerkind“ bin. Vor allem aber, weil ich mich selbst
als Schüler unwahrscheinlich oft darüber geärgert habe.
Auf der Suche nach einem spannenden Zugang zum Thema hat mich die schizophrene Perspektive,
mit der angehende Lehrer während des Referendariats auf dieses verworrene System blicken, extrem fasziniert.
Komprimiert auf einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren sind sie
Schüler und Lehrer zur selben Zeit.
Auf der einen Seite sind sie von Beginn an Autoritätspersonen,
geben Noten, rechtfertigen ihr Handeln auf Elternsprechtagen – sie tun das, was wir von Lehrern erwarten.
Auf der anderen Seite aber sind sie selbst dem System ausgeliefert.
In denselben Klassenzimmern, in
denen sie gerade noch genervt um Ruhe
bitten, werden sie wenig später selbst im
Unterrichten unterrichtet.
Werden ihrerseits
ermahnt, wenn sie zu laut tuscheln, müssen
sich in Unterrichtsbesuchen den strengen
Blicken ihrer „Lehrerlehrer“ stellen, ärgern
sich über hundsgemeine Ausbilder und deren
ungerechte Noten – und zittern vor der großen
Abschlussprüfung, deren Ausgang darüber
entscheidet, ob man jemals im Beruf wird
arbeiten dürfen.
Wie lange habt ihr insgesamt an dem Film gearbeitet?
Die Vorbereitungszeit für das Projekt dauerte
über ein Jahr, gedreht haben wir dann knapp
drei Jahre. Das lag daran, dass die einzelnen
Protagonisten ihr Referendariat nicht
zeitgleich antraten und sich die Dauer der
Ausbildung je nach Schulform auch
unterschied. Im Schnitt saßen wir dann noch
ein weiteres Jahr, um die über 300 Stunden
Rohmaterial, die entstanden waren, zu
bändigen. Ein ziemlich langer Zeitraum also.
Von den fünf Protagonisten, die wir durch das
gesamte Referendariat begleitet haben, sind
letztendlich drei im fertigen Film gelandet.
Wie bist du an deine Protagonisten gekommen?
Nachdem wir die zuständige Berliner Behörde
für das Projekt gewinnen konnten, stellte man
uns ein förmliches Schreiben aus, das bei
Schul- und Seminarleitungen darum warb,
unsere Dreharbeiten aktiv zu unterstützen.
Vorausgesetzt natürlich, wir fänden junge
Lehrer, die bereit sein würden, bei dem Projekt
mitzumachen. Und tatsächlich war ich extrem
skeptisch, ob es uns überhaupt gelingen
würde, Menschen zu finden, die sich in einer
so existenziellen und entscheidenden Phase
ihres Lebens filmen lassen. Weil viele der
Referendare außerdem erst wenige Wochen
vor Beginn des Referendariates erfuhren, ob
sie teilnehmen durften, fand unsere Suche
nach möglichen Protagonisten innerhalb
kürzester Zeit statt. Ich verfasste einen langen
Brief, in dem ich für das Filmprojekt warb.
Diesen Brief durften wir den offiziellen
Auswahlschreiben der Seminare beilegen und
zu zwei verschiedenen Einstellungsterminen
an knapp 600 angehende Lehrer verschicken.
Völlig verblüfft waren wir dann darüber, dass
sich in den kommenden Tagen tatsächlich fast
25 Leute bei uns meldeten. Der allererste war
der spätere Protagonist Ralf. Er hatte den Brief
noch keine fünf Minuten geöffnet gehabt, als
er mich anrief. Die meisten Interessierten
besuchte ich dann umgehend persönlich und
zeichnete ganz direkt – ohne viel Vorgespräch
- ein Interview mit ihnen auf.
Warum das?
Ich wollte, dass die Protagonisten zumindest
eine Ahnung davon bekamen, was die
Teilnahme an so einem Filmprojekt für sie
bedeutet. Außerdem war mir wichtig,
Menschen zu finden, die einen individuellen,
reflektierten Blick auf das Thema Bildung und
die Verantwortung, die ihre Arbeit mit sich
bringt, haben. Ich wollte Menschen mit
eigenem Standpunkt und Passion für den
Beruf – keine Verirrten, die Lehramt aus
Verlegenheit und Mangel an Alternativen
studiert haben. In einem Film mit
journalistischem, repräsentativem Ansatz
hätte man so jemanden sicher gebraucht.
Schließlich entspricht ein großer Teil
angehender Lehrer genau diesem
ernüchternden Bild. Mich hat das nicht
interessiert. Mit knapp zehn Protagonisten
begannen wir dann die Dreharbeiten. Wir
wussten, dass wir eine größere Gruppe
brauchten, weil es sehr viele Unsicherheiten
gab: Wie würden die jeweiligen Lehrerkollegen,
Schüler, Eltern, Seminarleiter,
Mitreferendare der Protagonisten auf das
Filmprojekt reagieren? Nur, wenn wir überall
auf ein gewisses Maß an Akzeptanz stoßen
würden, hatte der Dreh eine Chance.
Außerdem mussten wir ja auch damit
rechnen, dass Protagonisten das Projekt
gegebenenfalls wieder abbrechen.
Ist das tatsächlich passiert?
Ja, in einem Fall. Eine Protagonistin, die wir
über ein Jahr begleitet hatten, wurde von
ihrem Schulleiter wegen ihrer Teilnahme an
unserem Filmprojekt regelrecht gemobbt.
Immer wieder bestellte er sie zu sich und
erklärte ihr, er sei durch seine Vorgesetzten
zwar angehalten, das Projekt offiziell zu
unterstützen, sehe es selbst aber sehr kritisch.
Er bewundere ihre Arroganz, sich zuzutrauen,
neben den Herausforderungen des
Referendariats auch noch in unserem Film
mitzuwirken. Obwohl ihre Leistungen
überdurchschnittlich gut waren, fühlte sie sich
und ihre Ausbildung dadurch gefährdet.
Schließlich kommt ein Teil der Benotung im
Referendariat ja durch die Schulleiter. Obwohl
er sie nie konkret zum Abbruch aufforderte,
war klar, dass ihr die Mitwirkung schaden
konnte. Deshalb beschlossen wir gemeinsam,
mit dem Drehen aufzuhören. Insgesamt war
ich überrascht, dass fast alle Vorbehalte dem
Projekt gegenüber von denen kamen, die
eigentlich am längeren Hebel saßen: So gab
es gleich mehrere Seminarleiter, die nicht
wollten, dass wir in ihren Seminaren und
Unterrichtsbesuchen mit der Kamera dabei
waren. Nicht aber, um unsere Protagonisten
zu schützen, sondern aus einer großen
eigenen Unsicherheit heraus. Sie machten
sich Sorgen darum, zu stark von offiziellen
Richtlinien für die Lehrerausbildung abzuweichen,
Fehler zu machen, nicht den
Erwartungen der Vorgesetzten zu entsprechen
und sich damit Karrierechancen zu verbauen.
Was waren generell die größten Herausforderungen beim Dreh?
Mit am herausforderndsten war sicher, dass
wir eigentlich ununterbrochen das Projekt
erklären mussten. Weil unsere Protagonisten
so unterschiedliche, sich ständig verändernde
Welten streiften – Lehrerzimmer mit 60
Kollegen, mindestens drei verschiedene
Seminargruppen voller Referendare und nicht
zuletzt mehrere Schulklassen mit hunderten
von Schülern und deren Eltern – gab es nie
den Punkt, an dem irgendwann einmal alle
Bescheid wussten. Es verging so gut wie kein
Drehtag, an dem wir unseren Film nicht
irgendjemandem erklären mussten. Drei Jahre
lang haben wir eigentlich pausenlos für das
Filmprojekt geworben. Die bürokratischen
Herausforderungen waren ebenfalls groß. Ich
kann mich gar nicht mehr erinnern, auf wie
vielen Elternabenden, vor wie vielen
Seminargruppen und Lehrerkollegien die
Produzentin des Films und ich uns im Laufe
der Drehzeit den Mund trocken redeten, weil
tausende von Beteiligten vom Projekt
überzeugt werden wollten. Vor allem bei
unseren Drehs in den Schulklassen galt es
dann, unser dort geäußertes großes
Versprechen wahr zu machen, den Unterricht
nicht im Geringsten zu stören. Nicht zuletzt
davon hing ab, ob wir weitermachen durften.
Wir arbeiteten deshalb in minimaler
Besetzung mit einer sehr kleinen Kamera und
standen meist am äußersten Rand der
Klassenzimmer und bewegten uns so wenig
wie möglich. Häufig mussten wir gegen
unseren Instinkt arbeiten, mit der Kamera
weiter ins Geschehen zu gehen und somit
Distanz aufzugeben. Am schnellsten
gewöhnten sich die Schüler an uns. Für
unsere Protagonisten kam der Druck ohnehin
von anderer Seite. Sie waren meist mit den
Herausforderungen des Unterrichtens
ausgelastet, sodass sie kaum Zeit hatten,
unsere Kamera wahrzunehmen.
Warum, glaubst du, haben die Protagonisten sich überhaupt zur Teilnahme bereit erklärt?
Das waren tatsächlich sehr unterschiedliche
Gründe. Allen ist gemeinsam, dass sie den
Film nicht als Selbstzweck sahen, sondern als
Impulsgeber für Diskussionen über den
Zustand
unseres
Bildungssystems.
Insbesondere Grundschullehrerin Anna hat
immer wieder gesagt, dass sie selbst
eigentlich überhaupt nicht gern im Mittelpunkt
steht und sich selbst als eine Art Vehikel zur
Verfügung stellen wollte, um mit ihren Augen
hinter die Kulissen von Schule zu schauen. Für
Katja spielte sicher auch eine Rolle, dass sie
wusste, an was für eine schwierige Schule sie
kommen würde. „Eine richtige Bombe war das
für mich, als ich das gelesen habe“, hat sie
mal gesagt. Und sie hatte große Angst, das
nicht durchzustehen und vorzeitig
abzubrechen. Mit dem Filmteam an ihrer Seite,
so ihre Hoffnung, würde sie vielleicht länger
durchhalten können, weil sie nicht vor
Publikum scheitern wollte. Quasi eine Wette
mit sich selbst. Für Ralf wiederum schloss sich
mit dem Referendariat ja ein besonderer Kreis,
weil er an die Institution zurückkam, an der er
zuvor selbst als Schüler gescheitert war. Für
ihn war es sicher auch eine Genugtuung, es
jetzt, nach über zwanzig Jahren „geschafft“ zu
haben und als Vorbild zeigen zu können, dass
so ein Weg möglich ist.
Hat sich dein Blick auf das System verändert?
Als wir mit den Vorbereitungen begannen, lag
meine eigene Schulzeit erst wenige Jahre
zurück. Häufig, wenn wir Situationen filmten,
in denen unsere Protagonisten mit den
Schülern aneinandergerieten und mir hinterher
im Interview ihr Leid klagten, ertappte ich
mich bei dem Gedanken, dass das gut auch
ich hätte gewesen sein können, über den sie
sich ärgerten. Ich glaube, ich bin ein ziemlich
anstrengender Schüler gewesen. Ich habe
ununterbrochen mit meinen Lehrern diskutiert,
deren Methoden und Aufgabenstellungen
hinterfragt und sie mit einem übersteigerten
Gerechtigkeitsempfinden zur Weißglut
gebracht. Insofern bin ich froh, dass mich
meine Protagonisten als Filmemacher
kennengelernt haben und nicht als Schüler.
Während der Dreharbeiten bin ich dann selbst
Vater geworden. Damit hat sich mein Interesse
am System Schule verändert. Wenn mein
Sohn in zwei Jahren eingeschult wird, werde
ich ein „Co-Abhängiger“ sein. Mir machen
Eltern von älteren Kindern jetzt schon Angst,
wenn sie mir raten, die Zeit unbedingt noch zu
genießen, bis die Kinder ins Schulalter
kommen. Dann höre die Zeit der Unbeschwertheit
abrupt auf und weiche dem großen
Strampeln um einen der vorderen Plätze im
Leben. Meine Protagonistin Anna, die ja
ihrerseits Mutter zweier Schulkinder ist, stellte
mal in einem der vielen Interviews fest, wie
schlecht das für sie zu ertragen sei. Zu sehen,
wie aus Erstklässlern, die vor Wissensdurst
und Lust auf Lernen nur so strotzen, in kurzer
Zeit Menschen werden, die Schule als Ort für
Pflichterfüllung und notwendiges Übel sehen.
Wie haben die drei auf den Film reagiert?
Sie mochten ihn sehr. Bei unserer Weltpremiere
beim DOK Festival Leipzig waren alle
drei da und haben den Film zum ersten Mal
gesehen. Ihre Reaktion hat uns als Team
tatsächlich sehr berührt. Sie fühlen sich und
die intensive Zeit ihrer Ausbildung gut
repräsentiert. Tatsächlich geht es ja in den
Szenen nicht selten auch ums persönliche
Scheitern, verletzlich sein, nicht genügen,
Zweifeln, Ringen mit dem eigenen Beruf. Ich
bewundere die drei nach wie vor sehr dafür,
wie offen sie sich mit all dem gezeigt haben
und bin ihnen enorm dankbar. Auf der Bühne
haben alle drei gesagt, dass sie hoffen, dass
der Film kein Selbstzweck ist, sondern als
Impuls dienen kann zum Streiten über den
wichtigsten Rohstoff unserer Zeit, nämlich
Bildung: Was ist die Aufgabe von Schule?
Während der Dreharbeiten sind wir tatsächlich
auf niemanden gestoßen, der gesagt
hat: „Das System ist gut so wie es ist.“
Niemand! Egal ob Schulleiter, Ausbilder oder
Eltern. Alle sind sich einig, dass Schule sich
verändern muss. „Wie?“ ist die große Frage.